An einem Donnerstag um 9:28 stehe ich entspannt in der Regionalbahn. Mein Ziel ist der Hauptbahnhof in Hamburg, von wo aus ich den ICE nach München nehmen will. Umsteigezeit 10 Minuten, sollte eigentlich klappen, denke ich noch, als mein Zug plötzlich mitten auf der Strecke stehen bleibt. Minute um Minute verrinnt und nichts passiert. Mein Puls steigt, Aufregung und Ärger nehmen zu. Zumal es proppenvoll ist. Was wollen die alle jetzt um diese Zeit mitten in der Woche hier im Zug!!
Ich fahre geschlagene 15 Minuten zu spät am Hauptbahnhof ein und verpasse meinen ICE. Total gestresst und innerlich geladen wappne ich mich für den Kampf mit dem Bahnservice, um mit dem nächsten Zug und einer Ersatzreservierung meine Weiterreise nach München antreten zu können und zwar ohne, dass ich nachzahlen muss. So geladen stapfe ich in den Servicebereich.
Wäre mir das drei Tage später passiert, ich wäre um zahlreiche mentale Methoden reicher gewesen, hätte zum Stressabbau tief ein- und ausgeatmet, mir mein Ziel – das Seminar „Reiten im Kopf®“ bei Antje Heimsoeth oder die Ankunft in Rosenheim – bildlich vorgestellt und sicherlich hätte ein inneres Ruhebild mich vollends entspannt die Situation meistern lassen. Ich wäre gelassen, freundlich und lösungsorientiert unterwegs gewesen.
Mentaltraining gehört in den Reiteralltag
Das ist jedenfalls meine Meinung. Denn unvorhergesehenes passiert uns täglich beim Reiten oder im Umgang mit unseren Pferden. Da ist es noch wichtiger gelassen, freundlich und lösungsorientiert zu bleiben.
Deswegen habe ich beschlossen, nicht nur Bücher zu lesen, sondern mir zusätzlich praktische Anregungen im Seminar „Reiten im Kopf®“ von Antje Heimsoeth zu holen. Sie ist DIE Mentaltrainingsexpertin für Reiter und Spitzensportler.
Mein erster Schritt war lesen
Vor knapp zwei Jahren habe ich begonnen mich zu fragen warum eigentlich Spitzensportler aus fast allen Bereichen Mentaltrainer haben und Reiter nicht? Wir haben doch ausser uns selbst noch ein Tier im Wettkampf dabei. Noch dazu ein Fluchttier, das sehr sensibel auf die Veränderungen um sich herum reagiert.
Mittlerweile habe ich einige Bücher allgemein zum Thema Mentaltraining gelesen. Danach habe ich nach Büchern für Reiter gesucht. Erstaunlicherweise habe ich auf dem Markt gerade mal zwei gefunden, die sich speziell mit dem Thema Mentaltraining für Reiter beschäftigen. Erschreckend wenig finde ich!
Zahlen, Daten, Fakten
Laut einer Studie der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) aus 2016 bezeichnen sich 3,89 Mio der Befragten über 14 Jahren als Reiter. Die FN (Deutsche Reiterliche Vereinigung) registrierte für das Jahr 2017 3.619 Turnierveranstaltungen und stellte 82.983 Jahresturnierlizenzen aus. Tendenz steigend!
Wie schaffen es fast vier Millionen Menschen mit Pferden respektvoll, konzentriert, klar, fair, angstfrei umzugehen? Oder verschliessen viele die Augen vor der Realität?
Umsetzung ganz praktisch
Es gibt sooo viele Methoden, die wir umsetzen können und diese lassen sich ganz einfach in den Reiteralltag integrieren. Ich verrate dir hier diejenigen, die ich am schnellsten umsetzten konnte.
Entspannt atmen
Seit dem Seminar übe ich das entspannte Atmen täglich im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Wenn ich entspannt bin, dann atme ich in einer Minute zwischen 4-6 mal. Ein Atemzug ist einmal ein- und ausatmen. Das ist übrigens bei dir und bei allen anderen Menschen auch so. Wenn ich dann auf dem Turnier oder in einer anderen Situation aufgeregt bin und Lampenfieber habe, dann kann ich mich auf meinen Atem konzentrieren. Da mir das durch das tägliche üben in Fleisch und Blut übergegangen ist, muss ich nicht nachdenken, sonder kann einfach machen.
Wasser trinken
Ein Aspekt hat mir deutlich gezeigt, dass ich mehr Wasser trinken muss, auch zu Hause auf dem Platz im Training.
5% zu wenig Wasser im Körper bedeutet 30% weniger Konzentration
Das war mir bisher so nicht bewusst. Du kannst somit durch ausreichend trinken deine Konzentration steigern und damit die Nase vorn haben. Ich werde nun immer eine Flasche Wasser beim Reiten und auf dem Turnier dabei haben.
Visualisierung – Entspannen mit inneren Bildern
Unser Unterbewusstsein ist faszinierend und arbeitet mit Bildern. Stelle dir mal bitte nicht eine gelbe, fruchtige, saure Zitrone vor – na, hast du gemerkt dass sogar deine Speichelfluss im Mund angeregt wurde? Vor deinem geistige Auge hast du eine gelbe Zitrone gesehen, denn „nein“ und „nicht“ kann unser Gehirn nicht verarbeiten.
Du kannst innere Bilder dazu nutzen, dich zu entspannen, indem du dir ein Ruhebild vorstellst. Ich habe meins noch nicht ganz gefunden, bin aber bei so etwas wie einem klaren Bergsee mit Steg ins Wasser und dunkelgrünem Wald drum herum. Dann kann ich mir sogar den würzigen Waldboden, die dunkle, glatte Wasseroberfläche und den warmen trockenen Holzsteg unter meinen Füssen vorstellen. Damit wird das Bild realer und prägt sich besonders ein, weil ich verschiedene Sinne einbeziehe.
Gutes Zeitmanagement auf dem Turnier
Gute Zeitplanung fängt natürlich schon vor dem Turnier an – mit dem packen und dem Training in der Woche davor.
Hier gehts jetzt aber erst mal um die Zeiteinteilung auf dem Turnierplatz. Mach dir einen genauen Plan wie lange du wofür brauchst – dein Pferd satteln, abreiten, wann ist Deine Prüfung, der wievielte Starter bist du? Eine gute Zeitplanung mit Puffer für Unvorhergesehenes hilft Stress und Lampenfieber abzubauen.
Gesundheit, Fitness & Ernährung
Das sollte zwar selbstverständlich sein, aber krank aufs Turnier zu fahren ist keine gute Idee, wenn du Leistung bringen willst. Außerdem ist es Raubbau am eigenen Körper.
Wichtig ist auch Fitness, Beweglichkeit, ein gutes Körpergefühl und gute Muskulatur. Das gilt für dein Pferd aber genauso auch für dich. Weder solltest du untrainiert und ohne Kondition starten noch darfst du das deinem Pferd zumuten. Reiten ist ein teil des Trainings aber Fitness- und/oder zusätzliches Ausdauertraining hält dich fit und schütz vor Verletzungen.
Schlafmangel, Kaffee, schwarzer Tee, Cola/Softgetränke und Alkohol sollten für diese Tage tabu sein. Halte dich lieber an Wasser und Früchtetee.
Mit Pommes und Bratwurst im Magen wird jeder Ritt eine Belastung. Achte auf gesundes, leichtes und wenn möglich frisch zubereitetes Essen. Dein Körper wird es dir danken und Leistungsfähiger sein.
Meine persönliche Strategie gegen Lampenfieber auf dem Abreiteplatz
Mein „schlimmster“ Stressmoment ist immer beim Satteln und auf dem Abreiteplatz. Da bin ich am aufgeregtesten und total zittrig. Meine Strategie, die ich aus dem Seminar „Reiten im Kopf®“ von Antje Heimsoeth mitgenommen habe ist, dass ich meine Hände ausschüttle, wenn sie zittern.
Ausserdem brauche ich Aufgaben, um mich auf dem Reitplatz auf mich konzentrieren zu können und mich nicht von der Umgebung um mich herum ablenken zu lassen. Ich habe mir deswegen ausgedacht, dass ich Volten reiten kann, meist ist in der Mitte des Zirkels dafür Platz. Außerdem ist eine gute Übung abbiegen oder Seitengänge. Im Mai bin ich in Luhmühlen und werde meine Strategie dann das erste mal bewusst ausprobieren.
Ausserdem werde ich mich mit meinem Atem beschäftigen und mit Visualisierungen arbeiten. Wenn ich aus Luhmühlen zurück bin werde ich berichten, wie gut ich es geschafft habe, meine Strategie umzusetzen und was ich zukünftig ändern werde.
Die Quintessenz
Ich habe an den drei Tagen im Seminar umglaublich viel gelernt. Vieles konnte ich sofort umsetzen. Und das beste ist, dass man diese Methoden nicht nur fürs Reiten nutzen kann, sondern dass man sie in vielen verschiedenen Lebenslagen einsetzen kann.
Außerdem macht es Lust auf mehr Wissen und dieses werde ich gerne mit Euch teilen. Also seid gespannt und bleibt dran.
Zukünftig bleibe ich entspannter, sollte mal wieder meine Bahn Verspätung haben und ich meinen Anschlusszug verpassen – grins.
Foto: Katharina-Wieland-Müller / www.pixelio.de